Montag, 3. Januar 2011

Das Gaga-Jahrzehnt der Unterhaltungsbranche


Von Dominique Marcel Iten
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Mal Big Brother? Damals, als Jan de Mol mit seinem «Skandalformat» das Deutsche Fernsehen eroberte? Erinnern Sie sich an den Hype um eine Sendung, welche als „so real wie das Leben“ angepriesen wurde? Menschen in einem Container, welche rund um die Uhr  Alltagstratsch und Smalltalk austauschten, während Millionen von Zuschauern gerade darin einen besonderen Sinn sehen wollten?

Big Brother ging dieses Jahr in Deutschland nach zehn Staffeln endgültig zu Ende. So richtig interessiert hat das niemanden mehr. War der Aufschrei zu Beginn noch gross, die Angst um den totalen Verlust menschlicher Würde und Privatsphäre immens, so war die letzte Ausgabe ein Sinnbild der modernen Unterhaltungsindustrie. Viel Blödsinn, Porno und B-Prominenz von dadaistischer Intellektualität.

Porno ist das Stichwort der ach so aufgeklärten Welt des neuen Jahrtausends. «Sex sells», das wussten die Marketingstrategen schon immer. Und nach dem gleichen Motto wie Hollywood heute erfolgreiche Filme in zahllosen Fortsetzungen verwurstelt, nämlich „höher, schneller, weiter“, so wurde auch der Sex zum universalen Verständigungsbild einer ganzen Gesellschaft.

Noch nie lagen Sinn und Unsinn in unserer Gesellschaft so nahe beieinander wie im Jahr 2010. Gut, wer jetzt laut «Hitler? Kreuzzüge? ...Anyone?» schreit, hat da auch einen gewissen Punkt. Doch selten wurde dieses Bild von einer ganzen Gesellschaft so stark geprägt und mitgetragen. Eine Gesellschaft, welche Personen berühmt macht, die eigentlich gar nichts können, ausser eben, bekannt zu sein. B-Promis und (wenige) A-Promis, welche auf roten Teppichen ihre gestählten und teils generalüberholten Körper bedingungslos und ohne Scham der ganzen Welt für ein bisschen Aufmerksamkeit präsentieren. Hier ein bisschen  mehr Nippel, da ein bisschen weniger Höschen und frei ist der Weg in die Klatschspalten der Trendhefte und Gratiszeitungen. Und obwohl gefühlt jeder verneint, diese zu lesen, sprechen dann doch alle davon.
Schlussendlich geht es auch nicht mehr darum, was man kann. Publicity, egal ob gut oder schlecht ist das primäre Ziel eines jeden Stars und Sternchens.
Davor machen selbst die ganz Grossen nicht Halt. Präsentierte sich Britney Spears zu Beginn dieses Jahrzehnts noch als braves, jungfräuliches Mädchen von Nebenan, geizt auch sie heute nicht mit Reizen – und das mit der Jungfrau ging auch bald vergessen. Ihre Kolleginnen tun es ihr gleich und zwängen sich in immer engere und ausgefallenere Kostüme, sprechen von Reife und Veränderung, während sie sich für den Playboy ausziehen und das Ganze als «Erwachsen werden» bezeichnen. Ein kleiner Trost: Zumindest der männliche Teil der Gesellschaft nimmt ihnen letzteres nur begrenzt übel. Leistung und Produkt zählen immer weniger, Image, Aufmerksamkeit und Aussehen sind die Grundpfeiler einer jeden Karriere, ob diese nun auf einer aussergewöhnlichen Fähigkeit oder reiner Selbstinszenierung basiert.

Diese neu zelebrierte Oberflächlichkeit beherrschte auch zahlreiche Produktionen grosser Medienunternehmungen. Der zeitreisende MTV-Fan aus dem Jahre 2000 wird sich mit der heutigen Version seines erklärten Lieblingssenders nur schwer anfreunden können. Damals starteten gerade erste Reality-Formate wie «The Real World» oder «Jackass», welche immerhin noch den frechen Geist des einst revolutionären Musiksenders atmeten. Zu jener Zeit betrug der Musikanteil noch satte 80%. Im Vergleich dazu gibt man sich heute schon mit unter 60% zufrieden. Die Reality-Shows regieren das Programm, ob da alte, in der Anonymität versunkene Stars von Gestern, in der dritten Auflage ein junges Küken als Frau suchen, oder sich junge Männer für lukrative Preise gegenseitig in die Weichteile treten lassen. Keiner will mehr Musik, und wenn, dann doch bitte im Klingeltonformat, direkt downloadbar. Man tut alles, um die zumeist (zumeist) minderjährige Kundschaft bei Stange zu halten. Reality-Formate sind dabei ein einfacher und vor allem billig zu produzierender Weg.

Dem Reality-Format begegnet der Konsument aber nicht nur auf MTV, sondern auf zahlreichen anderen Sendern, allen voran der Gaga-Hochburg RTL II. Jüngst noch die Programmleiterin entlassen, um «Qualität zurück ins Programm zu bringen», geht die sinnfreie Unterhaltung jedoch auch unter neuer Führung munter und unverändert weiter. Da werden Frauen getauscht, einem «Messie» wird Ordnung beigebracht und dank «Raus aus den Schulden» weiss jeder Harz 4-Empfänger, wie er sein Geld nun verwaltet. Dass er sich dabei besser um Arbeit statt um Fernsehprogramme kümmern sollte, wird aber nirgends behandelt.   


Bezeichnend für dieses Gagatum nennt sich der aktuell grösste Musikstar der Welt Lady Gaga, kleidet sich in extravagante Fleischoutfits und füttert die Presse mit Sätzen wie: «Ich habe einen Penis». Zugegeben, vieles davon ist  Provokation der Provokation wegen, doch beängstigend ist, wie erstaunlich gut dieses Schema heute funktioniert. Gepaart mit viel nackter Haut, harmlosen aber eingängigen  Liedern und einer mächtigen Promomaschinerie im Rücken ist der Erfolg genau so sicher wie jener einer neuen Beatles-Platte in den späten 60ern. Eine Epoche mit eigenem Stil und einer eigenen kulturellen Identität.

Ein Umstand, welcher den 00er Jahren etwas abgeht. Natürlich, es gab in diesem Jahrzehnt auch viel Gutes. Regisseure wie Christopher Nolan, Marc Foster oder Peter Jackson zeigten uns, dass man sich nicht sklavisch an die Regeln des Mainstream-Kinos halten muss, um erfolgreich zu sein. Die Qualität amerikanischer Serien war nie höher, denkt man nur an Formate wie Dexter, Breaking Bad oder Mad Men, welche sich in Punkto Tiefgründigkeit mit manchem Roman messen können. Und auch musikalisch war viel zu finden. Nur werden wir eine amerikanische Metal Band wie Tool, welche weltweit Millionen Tonträger verkauft, wohl kaum in kommenden „Die Hits der 00er Jahre“ –Sendung eines Sat1 oder RTL antreffen. Da spielt man doch viel lieber Hurts. Die klingen zwar wie aus den 80ern, tun aber niemandem weh und werden im Radio auch nicht weggeklickt. Die Werbekunden sagen danke.

Die Werbeindustrie ist es dann auch, welche sich noch am ehesten auf alte Tugenden und Qualität beruft, geht es hier auch nicht primär um Unterhaltung, obschon in den letzten zehn Jahren mehr Geld für Stars in Werbungen ausgegeben wurde, als je zuvor. Und diese schiessen wie Pilze aus dem Boden, seien es grosse Filmstars, Castingshow Gewinner oder Youtube-Starlets. Wie viele von ihnen wir in zehn Jahren noch kennen werden? Vielleicht jeden Zehnten. Vielleicht auch weniger. Oder erinnern sie sich noch an den Gewinner der ersten Big Brother Staffel? 

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